WER WIR SIND UND WAS WIR WOLLEN
Wir, das sind 38 Menschen (26 Erwachsene und 12 Kinder), die in dem Mietshaus in der Babelsberger Wichgrafstraße 11 wohnen – teilweise seit 30 Jahren.
Das Besondere an unserem Haus: Die Bewohnerschaft ist – noch – sozial durchmischt: von der Servicekraft bis zum Juristen, von der Krankenschwester bis zum Handwerker, vom Ingenieur bis zur Tierärztin; PädagogInnen, PsychologInnen, Hochschuldozenten, MusikerInnen, Verwaltungsangestellte – wir alle sind Teil einer gewachsenen Hausgemeinschaft.
KEIN NEUANFANG AUF GRÜNER WIESE
Unsere Hausgemeinschaft besteht im Unterschied zu vielen anderen bereits seit mehr als 20 Jahren.
Ein Großteil der jetzigen BewohnerInnen ist in den 1990er Jahren eingezogen, viele Kinder sind in diesem Haus aufgewachsen. Die ersten Miete- rInnen wohnen bereits seit Mitte der 80er Jahre in dem Haus, sie wohnen somit seit mehr als 35 Jahren hier.
Nicht allein die Verbundenheit zwischen den unterschiedlichen Mietparteien, sondern auch zwischen den Kindern und mittlerweile jungen Erwachsenen zeichnet unsere Hausgemeinschaft in besonderer Weise aus. Das Miteinander ist seit jeher offen und solidarisch, geprägt durch gemeinsame Arbeitseinsätze im Hof und Garten ebenso wie von kleineren und größeren Festen oder Treffen. Auch ein traditionelles Puppenspiel zum Schuljahresbeginn, das Weihnachtssingen und die Teilnahme an verschieden Laufsportveranstaltungen zeugen von einer gewachsenen Gemeinschaft.
EINEN ORT MIT SOZIALER VIELFALT ERHALTEN
Mit der Gründung des Hausprojekts soll diese Hausgemeinschaft bewahrt und gestärkt werden. Die ursprüngliche „Babelsberger Melange“, für die unser Haus steht, soll nicht den „Gesetzen“ des Immobilienmarktes zum Opfer fallen.
Die durchmischte soziale Struktur, die unterschiedlichen Altersgruppen, die in unserem Haus zusammenleben, gilt es zu erhalten, indem wir Wohnraum bewahren, der für alle BewohnerInnen auch langfristig finanzierbar bleibt. Wir sehen unsere Hausgemeinschaft, in ihrer heterogenen Zusammensetzung in Alter und Beruf, als Gegenpol zu der Mietpreisentwicklung in Potsdam, die allzu homogene ökonomische und soziale Strukturen erzeugt.
Mit unserem Hausprojekt wollen wir dieser fehlenden Durchlässigkeit entgegenwirken und sie für einen kleinen Ort in Babelsberg bewahren, indem wir das Haus vom Spekulationsmarkt nehmen. Es soll niemand aus unserem Haus ausziehen müssen, weil er die Miete nicht mehr bezahlen kann.
DIE STADT, DAS VIERTEL
Das Haus befindet sich in Potsdam, im Stadtteil Babelsberg. Die brandenburgische Landeshauptstadt hat derzeit rund 178.000 EinwohnerInnen, Tendenz steigend – 2035 sollen es 220.000 sein.
Potsdams Attraktivität bringt Immobilienpreise und Mieten mit sich, die in einigen Stadtvierteln denen von München-Schwabing oder Berlin-Mitte nicht nachstehen. Infolgedessen hat sich auch Potsdam und insbesondere Babelsberg in den vergangenen 25 Jahren stark verändert. Bis zu 80 Prozent der alten Wohnbevölkerung wurden verdrängt; der Gentrifizierungsprozess ist deutlich spürbar.
Wir verstehen daher unser Hausprojekt auch als einen Versuch, diesem Verdrängungsprozess Einhalt zu gebieten.
DAS HAUS
Die Wichgrafstraße 11 ist ein ca. 1904 gebautes, dreigeschossiges Mietshaus am Rande des Weberviertels, in unmittelbarer Nähe des Zentrums von Babelsberg, dem Weberplatz und dem S-Bahnhof Babelsberg. Alte eingeschossige, sanierte Weberhäuser bilden den Rahmen für eine an einigen Stellen durch Zwei- und Dreigeschosser unterbrochene Siedlungsstruktur.
Das Haus besteht aus zwei Gebäudeteilen, einem Vorderhaus und einem sogenannten „Gartenhaus“ (Hinterhaus). Das Grundstück hat ca. 1.600 Quadratmeter Grundfläche, die Wohnfläche beträgt 1.633 Quadratmeter. Im Haus befinden sich unterschiedlich große Wohnungen – von der Ein- bis zur Fünf-Zimmer-Wohnung, wobei die größeren durch Zusammenlegung von zwei oder mehr kleineren Wohnungen entstanden sind.
Das Haus wurde im Sanierungsplan für den Stadtteil Babelsberg als Projekt der Mietermodernisierung ausgewiesen. Der Sanierungszustand der Wohnungen ist bis zum heutigen Zeitpunkt sehr unterschiedlich. So wurden in den vergangenen 25 Jahren zwar neue Wasser-/Abwasser- und Stromleitungen verlegt und auch die Fassade und die Treppenhäuser saniert. Dennoch ist inzwischen wieder viel zu tun: Der Putz ist an einigen Stellen bereits wieder reparaturbedürftig, nach wie vor gibt es keine Wärmedämmung, auch die Dächer sind nicht gedämmt oder gar ausgebaut.
Da das dreistöckige Haus als Solitär zwischen zwei alten Ein- bzw. Zweigeschossern steht, gibt es zwei ungedämmte Brandmauern. Einige Wohnungen haben Gasetagenheizung, andere werden noch mit Kohleöfen beheizt. Auch die Fenster sind in sehr unterschiedlichem Zustand.
Zwischen den beiden Gebäudeteilen liegt eine kleine Hof- bzw. Gartenfläche mit vier Linden, die vermutlich einige Zeit nach dem Hausbau gepflanzt wurden. Hier befindet sich auch ein größerer Fahrradunterstand der von einigen MieterInnen gebaut wurde.
An das Hinterhaus schließt sich eine größere Gartengemeinschaftsfläche von ca. 690 Quadratmetern an, die von den MieterInnen selbst gestaltet und gepflegt wird. Hier gibt es u.a. Spielgeräte und einen Sandkasten, die ebenfalls von den Mietern angelegt wurden.
Am rechten hinteren Rand des Gartens befindet sich ein Schuppen, der von den MieterInnen als Unterstellfläche für Gartenmöbel und Werk- zeuge, Campingartikel und Schlauchboote sowie für Feste oder Grillparties genutzt wird. Begrenzt wird der Garten durch diverse Kompostflächen und Hochbeete, die ebenfalls von MieterInnen angelegt und gepflegt werden.
INSTANDHALTUNG
In einem ersten Schritt soll die bauliche Substanz des Hauses, die in den vergangenen 20 Jahren auf einem allenfalls minimalen Niveau konserviert wurde, behutsam instandgesetzt werden. Das betrifft vor allem die Fassade (Dämmung und Fenster), das Dach (Dachstuhl und Deckung) sowie die Isolierung der Keller.
Anschließend sollen alle Wohnungen einen vergleichbaren Standard erhalten. Dies umfasst im Wesentlichen das Heizsystem (Gasetagenheizung/Zentralheizung), die Elektroinstallation sowie die Sanitärbereiche.
Nach und nach sollen Anpassungen im Haus mit Blick auf die individuellen und gemeinschaftlichen Bedürfnisse erfolgen. So planen wir, das Remisenhaus im Garten so umzugestalten, das es auch im Winter als Gemeinschaftsraum (Dämmung, Heizung, Strom etc.) genutzt werden kann. Die dortige kleine Werkstatt soll ebenfalls ausgebaut werden (Strom, Inneneinrichtung, Ausstattung). Möglich ist eine zukünftige Nutzung des Dachgeschosses, etwa für weitere Gemeinschafts- räumlichkeiten oder sogar als Wohnraum.
ÖKOLOGISCH UND EFFIZIENT
Erklärtes Ziel ist es, von Beginn an alle Bau- und Instandhaltungsmaßnahmen umweltfreundlich, nachhaltig und ressourcenschonend durchzuführen – und das Haus energieeffizient zu machen. Dies soll bei allen baulichen Maßnahmen berücksichtigt werden, etwa durch eine bessere Isolierung der Außenwände, des Dachstuhls und der Fenster sowie eine ökologischere und effizientere Heizanlage. Künftig sind weitere Maßnahmen avisiert, v.a. mit Blick auf Energie- und Wassergewinnung, etwa eine Solaranlage auf den Dachflächen oder eine Brauchwasseranlage.
GRÜNES PARADIES
Schon jetzt ist der große Garten Treffpunkt, Spielplatz, „Tierpark“, Werkstatt sowie Zier- und Nutzgarten in einem. Als für die Gemeinschaft überaus wichtiger Ort soll er gepflegt und weiterentwickelt werden, auch mit Blick auf den ökologischen Anspruch des Projekts.
PERSPEKTIVEN
Langfristig soll sich die Hausgemeinschaft über ihre Bedürfnisse im Haus austauschen und das eine den anderen anpassen: Wohnungszuschnitte anpassen und sogar Wohnungen tauschen zu können, ist das Privileg selbstverwalteten Wohnraums.
Perspektivisch wird auch der Ausbau der Dachetagen angedacht, um weiteren Wohnraum, aber auch weitere Gemeinschaftsräume für die Hausgemeinschaft innerhalb des Hauses zu schaffen.
KIEZ-ORT
Als Hausgemeinschaft wollen wir mit unserem Projekt aber auch in den Sozialraum unseres Kiezes hineinwirken.
Seit Jahren, mitunter Jahrzehnten sind die Bewohner des Hauses hier verwurzelt und vernetzt. Viele Nachbarn aus den umliegenden Straßen waren oder sind von Zeit zu Zeit Gäste in unserem Haus oder Garten. Dies soll nicht nur so bleiben – sondern noch intensiver werden.
Wir wollen mit unserem Projekt ein Zeichen setzen dafür, dass Wohnen in Potsdam keine Frage des Geldes sein muss. Und dass eine Gemeinschaft sich den „Gesetzen des Marktes“ widersetzen kann. Dies wollen wir vorleben und zur Nachahmung anstiften. Unser Haus kann Anlauf- und Treffpunkt für die Nachbarschaft werden. Dem sollen die Gemeinschaftsräumlichkeiten und der Garten Rechnung tragen und Stück für Stück ausgestaltet werden.